Rezension: C. S. Lewis – Die Abschaffung des Menschen

In diesem Büchlein werden drei Vorträge Lewis‘ zusammengefasst, die er 1943 an der Universität von Durham vorgetragen hat. Um Lewis‘ Texte einordnen zu können, muss man wissen, dass er in jungen Jahren Atheist war und sich während seines Studiums zu einem überzeugten Theisten und Christen wandelte. Bis heute gelten seine Texte unter Christen als wegweisend. Seine Religiosität bleibt jedoch anschlussfähig an andere spirituelle Konzepte außerhalb des Christentums. Lewis geht in seine Texten von einem übergeordneten Prinzip aus, dass er Tao nennt. Dieses Tao gibt Halt und Richtung für die Menschen.

In seinen Vorträgen, die die Grundlage für das Buch bilden, arbeitet er sich an einem Schulbuch ab, dessen Titel und Autoren er nicht weiter nennt, um diese nicht zu diskreditieren. Er nennt dieses Buch „Das grüne Buch“.

Die Autoren des genannten Buches trennen in einem Beispiel die Empfindungen des Menschen, die diese ausdrücken (z.B. Erhabenheit beim Betrachten eines Wasserfalls), vom Menschen und Betrachtungsobjekt selber. Also: nicht der Wasserfall ist erhaben sondern es sind die Empfindungen des Menschen. Die Kritik Lewis‘ ist an dieser Stelle, dass die Autoren unter der Idee einer Sprachkritik eine gefährliche Philosophie verbreiten, da wir Gefühl und Empfindungen vom Menschen trennen würden. Er schreibt, dass „die Aufgabe des modernen Erziehers…“ nicht darin bestehe, „Dschungel auszuhauen, sondern Wüsten zu bewässern.“

Lewis wendet sich hier gegen die zu gleicher Zeit entstandene Wissenschaftstheorie und dem später daraus entstandenen Konstruktivismus. Allerdings aus dem Verständnis heraus, dass diese beiden Strömungen den Menschen von jeglicher Emotionalität trennen wollten und alles Verhalten, Denken usw. durch „Wissenschaft“ zu erklären sein. In einzelnen Schulen und radikalen Ansätzen sind diese Thesen zwar vertreten, jedoch nie in der Breite. Im Gegenteil: häufig wurden Emotionalität oder auch Intuition als Bedeutsam für echten Erkenntnisgewinn betrachtet.

Nach Lewis verliert der Mensch durch diese Entwicklung seine Orientierung, da es außer der Naturwissenschaft keine Werte mehr gäbe. Tatsächlich gäbe es aber eine Art universelle Wertvorstellung, die er Tao nennt. Er beschreibt dies als „… Lehre von einem objektiven Wert, … daß gewisse Haltungen… wirklich wahr sind und andere wirklich falsch.“ Die meisten Menschen würden intuitiv empfinden, ob sie im Einklang mit dem Tao sind und sollten danach handeln („Das Herz kann nie an die Stelle des Kopfes treten; aber es kann und sollte ihm gehorchen.“). Ohne dieses Tao, so Lewis‘ Annahme, verliert Gesellschaft ihre Orientierung und ist z.B. anfällig für extremistische Entwicklungen. Der Mensch benötige Ratio und Emotio, um überhaupt erst Mensch zu sein. Denn, so Lewis, „… seinem Verstand nach ist er bloß Geist und seinen Trieben nach bloß Tier.“

Der Vorwurf also an die damalige Philosophie ist, dass diese den Menschen „entmenschlicht“. Es gäbe aber ein verbindendes Element: „Die Brust – der Großmut – das Gefühl – , das sind die unentbehrlichen Verbindungsoffiziere zwischen dem Gehirn des Menschen und seinen Eingeweiden. Vielleicht kann man sogar sagen, der Mensch sei dank diesem mittleren Element überhaupt erst Mensch; denn seinem Verstand nach ist er bloß Geist und seinen Trieben nach bloß Tier.“

Lewis geht soweit, dass das Tao alle anderen Wertesysteme überstrahlt. Es „… ist nicht ein Wertsystem innerhalb einer Reihe von möglichen Wertsystemen. Es ist die einzige Quelle aller Werturteile.“ Wenn der Mensch dieses Tao findet oder erkennt, ist es ihm möglich, sich von innen heraus zu entwickeln. Durch diese Bewertung des Tao kommt Lewis allerdings auch zu dem Urteil, dass „Liberalität in Dingen, die nicht von letzter Bedeutung sind…“ nützlich ist. „Liberalität dagegen hinsichtlich der letzten Fundamente, der Theoretischen oder der Praktischen Vernunft, ist Schwachsinn.“

Dieses Postulat ist problematisch und zeigt auch, warum Lewis‘ Schrift bis heute anschlussfähig für antimodernistisches und (neu-)rechtes Gedankengut ist. Mit der Annahme, dass das Tao als Wertesystem, dass sich aus sich selber heraus begründet, alles rechtfertigt, was in irgendeiner Weise dem Tao entsprechen sollte und kein Abweichen (Liberalität) duldet, wird der Grundstein für totalitäres Gedankengut gelegt. Lewis meint, dass man das Tao in sich finden muss und nur ein „Eingeweihter“ Richtungsänderungen erkennen kann. Damit wird das Tao zu einer Art „elitärem Geheimwissen“ erhoben. Die Möglichkeit, dieses Wissen kritisch zu diskutieren oder gar demokratisch eine Richtungsänderung zu ermöglichen, wird damit kategorisch ausgeschlossen. Im besten Fall können besonders intelligente und/ oder charismatische Menschen damit Gutes erreichen. Allerdings zeigt die Geschichte, dass „Geheimwissen“ in der Hand von „Erleuchteten“ eher zu massenhaftem Leid führen.

Unterstützt wird dieses Gedankengut noch durch seine fortschrittsfeindlichen Annahmen. Fortschritt, so seine Annahme, ist immer Machtausübung weniger (nämlich derjenigen, die die neue Technologie beherrschen) über viele (diejenigen, den diese Technologie nicht zur Verfügung steht). Dies dehnt er auf ganze Nationen aus. Diese Kritik erkennt zweifellos ein Problem der modernen Welt, die auch heute zutrifft. So sind zum Beispiel bestimmte Patente für Medikamente im Besitz weniger Konzerne. Damit werden diese Medikamente in der Regel nur denjenigen zur Verfügung gestellt, die eine gewisse wirtschaftliche Macht besitzen. Damit haben arme Länder häufig keine Möglichkeiten gegen Krankheiten wie AIDS oder ganz aktuell SARS-COV-II vorzugehen und ihre Bevölkerung zu schützen.

Soweit stimme ich dieser Analyse also zu.

Allerdings wird es problematisch, wenn Lewis seine Annahmen auf damalige Entwicklungen bezieht. Er konstatiert, dass Wissen über Technologien und deren Anwendung auch immer Macht ist, wie gerade dargelegt. In einzelnen Fällen, so meint er, auch Macht über nachfolgende Generationen: „Falls ein bestimmtes Zeitalter dank der Eugenik und einer wissenschaftlichen Erziehung die Macht erlangte, seine Nachkommen nach Belieben herzustellen, so sind eben alle nachfolgenden Menschen dieser Macht unterworfen… Und falls… das zu so maximaler Macht über die Nachwelt gelangte Zeitalter sich auch am meisten von der Tradition gelöst hat, ist es sicher im Begriff, die Macht seiner Vorgänger ebenso drastisch einzudämmen, wie die seiner Nachfolger.“

Speziell nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diskutiert, dass Wissenschaft nie reiner Selbstzweck sein darf und die Anwendung seiner Erkenntnisse aber auch der Weg zum Erkenntnisgewinn bestimmten ethischen Prinzipien unterworfen sein muss. Dies ist heute in der liberalen demokratischen Welt allgemeiner Konsens.

Also könnte man Lewis zustimmen, dass Wissenschaft immer einem Ethos, oder wie er sagen würde, einem Tao folgen muss. Allerdings fürchtet er, dass die liberale Gesellschaft dieses Tao verloren hat und damit Wissenschaft nicht mehr dem Menschen dient. Wie anfangs bereits dargelegt, lehnt er damalige philosophische und soziologische Entwicklungen ab und konstatiert entsprechend, dass jede Gesellschaft gefährdet ist, die sich von ihren Traditionen entfernt hat. Lewis setzt also die damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen mit einem Verlust von Traditionen gleich und bewertet dies als negativ. Traditionen sind damit per se gut und der Fortschritt eine Entfernung vom Tao. Er geht soweit zu schreiben, dass „[j]ede von Menschen neu erlangte Macht … gleichzeitig Macht über Menschen“ ist. Durch die Hervorhebung der Worte „von“ und „über“ macht er deutlich, dass es auch eine Macht geben muss, die nicht von Menschen selber entwickelt wird, sondern von außen gegeben ist. Also wieder das Tao.

Als Beispiel führt er immer wieder die Verhütung an, die er offenkundig ablehnt. Dieses sieht er als Kontrollinstrument über nachfolgende Generationen. Also kein Mittel zur Befreiung der Frau, sondern ein Machtinstrument.

Ähnlich urteilt er auch über die Pädagogik bzw. die Wissensvermittlung. In Lewis‘ Vorstellung war es Aufgabe der traditionellen, also „guten“ Bildung, den Schülern „Flügel zu verleihen“. Lewis verwendet den Begriff „Neophyt“ und drückt damit seine Überzeugung aus, dass die „gute“ Bildung automatisch eine christliche war bzw. auch hier die Überzeugung ist, dass dieses Wissen eine Art Geheimwissen ist.1 Die Aufgabe dieser Pädagogik ist es, das Tao zu vermitteln.

In der „neuen“ Pädagogik bezeichnet Lewis die Lehrer nun als „Konditionierer“ mit einem eigenen Interesse. Dieses Interesse kann nicht mehr der Allgemeinheit dienen, da sie ja das Tao verloren haben. Das einzige Ziel kann nur noch Macht und Herrschaft sein.

Oder wie Lewis es ausdrückt: „Nur das Tao liefert ein allgemein-menschliches Gesetz des Handelns, das sowohl Herrscher wie Beherrschte überwölbt. Ein dogmatischer Glaube an den objektiven Wert ist Voraussetzung für die Idee einer Herrschaft, die nicht Tyrannei und eines Gehorsams, der nicht Sklaverei ist.“

Lewis findet diese Entwicklungen auch in der Sprache. So wird seiner Meinung nach „Eifer“ zu „Dynamik“, „junge Männer“ werden zu „potentielles Kadermaterial“ usw. Damit nimmt er Heideggers Verständnis auf, dass Technik immer auch das Denken bestimmt und damit auf die Welt einwirkt, dreht dieses aber zu einer technikfeindlichen Erkenntnis. Auch wenn Lewis das vermutlich nicht zugegeben hätte, finden sich darin Gedanken, die sich im späteren Konstruktivismus oder Dekonstruktivismus wiederfinden.

Fazit

Lewis‘ Buch drückt ein Verständnis von Fortschritt und Technik aus, das heute überwiegend so nicht geteilt wird. Seine Fortschrittsfeindlichkeit gepaart mit dem Anspruch, dass es ein übergeordnetes und allgemeingültiges Sinnverständnis gibt, macht ihn anschlussfähig für antidemokratisches und antiliberales Gedankengut und damit auch heute noch interessant für bestimmte Denkrichtungen. Insbesondere weil er natürlich auch Kritik an Entwicklungen übt, die durchaus berechtigt sind. Nur bleibt er in seinen Vorannahmen und damit auch in den Lösungen nicht akzeptabel für eine freie und demokratische Gesellschaft. Dennoch bleibt es ein wichtiges Buch, um (neu-)rechtes Gedankengut zu verstehen und damit darauf auch Antworten zu finden.

1Neophyten sind in der christlichen Tradition frisch Getaufte oder frisch Bekehrte, bzw. in der Esoterik neu aufgenommene Mitglieder in einen Geheimbund.

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