Meine Reise zur Neuen Arbeit

Wer sich ein bisschen mit aktueller Management-Literatur bzw. aktuellen Führungstrends befasst, wird an dem Begriff „New Work“ nicht vorbeigekommen sein.

Zumindest nicht, solange man nicht auf einer einsamen Insel ohne Internet gelebt hat.

Googelt man danach, findet man jede Menge Seiten, die zu New Work viel vermeintlich schlaues Zeug schreiben. Mal mehr, oft weniger.

Begriffe wie Agilität, Homeoffice, Remote Work usw. werden teils synonym verwendet. Und wenn nicht das, dann doch zumindest in die Nähe des Begriffs New Work gerückt.

Wikipedia führt den Begriff New Work gar nicht als eigenen Eintrag. Über die Weiterleitung „New-Work-Bewegung“ landet man auf dem Eintrag zu Frithjof Bergmann.

Ich halte nicht immer viel von der Wikipedia. Aber da hat die Community richtig gehandelt.

Ich skizziere im Folgenden, wie ich den Begriff „New Work“ für mich selbst definiere.

Während meines Studiums „Pflegemanagement“ habe ich das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky kennenlernen dürfen. Antonovsky hat in seiner Forschung herausgefunden, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften in ihrer Persönlichkeit in der Lage sind, mit Herausforderungen, Schicksalsschlägen usw. besser umzugehen als andere. Diejenigen, die diese Stärken hatten, haben über folgende Eigenschaften verfügt:

  • Verstehbarkeit: Sie waren in der Lage, die Herausforderungen, denen sie in ihrem Leben begegnen, zu verstehen (kognitive Leistung).
  • Handhabbarkeit: Sie hatten die notwendigen Kenntnisse, Fertigkeiten usw., um mit diesen Herausforderungen umzugehen.
  • Bedeutsamkeit: die Herausforderungen in ihrem Leben konnten sie in einen größeren Sinnzusammenhang deuten. Das Leben hatte für sie einen Sinn, eine Bedeutung.

Diese drei Komponenten müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Es nützt mir nichts, wenn ich in meinem Job über die notwendige Ausbildung verfüge (Handhabbarkeit), mir klar ist, warum ich einem Job, und dann auch genau diesem, nachgehen muss (Verstehbarkeit), aber es meinem Werteverständnis komplett zuwiderläuft, weil mein Arbeitgeber z.B. Waffen herstellt und diese in Kriegsgebiete liefert (und ich das ablehne) (Bedeutsamkeit).

Das Zusammenspiel aus diesen drei Komponenten hat Antonovsky als „Kohärenzsinn“ (sense of coherence, kurz SOC) bezeichnet.

Innerhalb meines Studiums wurde mir klar, dass Arbeitsplätze, oder vielleicht sogar die ganze Arbeitswelt so gestaltet sein sollte, dass dieser Kohärenzsinn gestärkt wird. Denn wenn Menschen über einen starken SOC verfügen, stärkt das ihre Gesundheit. Menschen können also nicht nur bei der Arbeit „nicht krank werden“, sondern Arbeit kann sogar ihre Gesundheit stärken.

Dies ist mein erster Bestandteil von dem, was ich heute als New Work bezeichne. Diese Überzeugung, dass Arbeit anders gestaltet werden kann, hat mich in den kommenden Jahren deutlich in meinem Führungsverständnis geprägt. Als Führungskraft im Krankenhaus (erst als Bereichsleiter, heute als Pflegedienstleitung) habe ich dieses Wissen bei der Auswahl von Führungskräften, aber auch bei anderen Entscheidungen immer mit einbezogen. Der SOC von Mitarbeitenden kann gestärkt werden, wenn Transparenz geschaffen wird, wenn Entscheidungsspielräume existieren und wenn Mitarbeitende Sinnhaftigkeit in ihrem Tun erfahren.

Klingt alles nach New Work? Eben! Sehe ich genauso.

Einige Jahre später stieß ich auf neuere Konzepte. Plötzlich war die Rede von der VUCA-Welt und dem Agilen Manifest, das kurz vorher erschienen war. Ich erkannte, dass es hier starke Überschneidungen zu Konzepten wie dem von der Salutogenese bestanden. Erst erschien mir dies als eine Bewegung, die vornehmlich in Tech-Berufen Anwendung fand und wenig mit dem gemein hatte, was ich im Krankenhaus erlebte. Während meiner weiteren Beschäftigung mit dem Thema stieß ich irgendwann auf Gleichgesinnte, die ebenfalls das Thema in die Krankenhauswelt tragen wollten, und las das Buch „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux. Und ich erkannte, welche starken gesellschaftsverändernden Bezug die New Work-Bewegung hatte. Das Konzept der Salutogenese hatte ich zunächst als reines Instrument für Führungsverhalten verstanden. Das evolutionäre Verständnis von Laloux umfasste jedoch die ganze Gesellschaft und die Art, wie wir wirtschaften.

Das Bild wurde größer.

Kurz darauf las ich ebenfalls das Buch Frithjof Bergmann „Neue Arbeit, neue Kultur“, in dem er sein Verständnis von New Work entwickelt. Bereits in den 1980ern hatte Bergmann mit Arbeitenden aus der Autoindustrie mit neuen Formen der Arbeit experimentiert. Seine Überzeugung war, dass Arbeit so gestaltet sein sollte, dass wir ein Drittel mit der „klassischen Lohnarbeit“ verbringen, ein Drittel mit dem, was wir „wirklich wirklich wollen“ (so seine Formulierung). Und das letzte Drittel mit Arbeit, die man als Selbstversorgung bezeichnen kann.

In diesen Beschreibungen wird deutlich, dass das ursprüngliche Verständnis nichts mit Modewörtern des heutigen New Work und in Teilen nur wenig mit aktuellen Veränderungen, wie z.B. Homeoffice gemein hat.

Zusammenfassend kann mein Verständnis von Neuer Arbeit folgendermaßen dargestellt werden:

  • Arbeit stärkt den Menschen auf allen Ebenen (körperlich, psychisch, seelisch).
  • Arbeit ist sinnhaft. Dieser Sinn liegt im Menschen und findet sich durch sein Handeln in der Arbeit wieder.
  • New Work stellt die grundlegende Form unseres Wirtschaftens in Frage.
  • New Work beinhaltet neue Formen der Entscheidungsfindung. Damit sind Hierarchien nicht abgeschafft, aber ihre Funktionen ändern sich.
  • New Work ist eine Bewegung, und kein Management-Trend.

Diese Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig. Umfasst aber die für mich elementaren Kernwerte.

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